Die Stadt Dessau-Roßlau steht in den kommenden Monaten vor einem technischen wie logistischen Großprojekt: dem Ersatzneubau der Zerbster Brücke im Zuge der Bundesstraße 184 über die DB in Roßlau. Was nüchtern als „Behelfsbrücke“ tituliert wird, entpuppt sich bei genauerem Blick als hochkomplexes Bauwerk, das der temporären Aufrechterhaltung des Verkehrs während des eigentlichen Neubaus dient und der nach der Verkehrsumverlegung auf die Behelfsbrücke folgt. Ein Projekt mit enormer Tragweite – nicht nur für den Straßenverkehr, sondern auch für den reibungslosen Betrieb der Deutschen Bahn und die Mobilität der Region.
Ein Bauwerk auf Zeit – mit hohen Ansprüchen
Die neue Zerbster Behelfsbrücke entsteht über einer besonders sensiblen Infrastruktur: Gleich mehrere Gleise der DB AG (Strecken 6411 und 6207, mit Gleisen 21, 22, 51 und 52) werden auf einer Gesamtlänge von über 40 m überführt. Trotz ihres temporären Charakters – die Standzeit ist auf sechs bis zehn Jahre angelegt – erfüllt die Konstruktion höchste Anforderungen an Tragfähigkeit und Sicherheit.
Die Bauzeit selbst ist straff geplant: Nach der Bauanlaufberatung am 27. November 2024 soll bereits am 31. Juli 2025 die Verkehrsfreigabe erfolgen. Dazwischen liegt ein ehrgeiziger Zeitplan, inklusive einer besonders kritischen Phase: der Überbaumontage unter Totalsperrung, welche Ende Mai 2025 in einer exakt getakteten 42-Stunden-Sperrpause erfolgte.
Konstruktive Finesse: Stahl, Statik, Sicherheit
Der neue Fachwerküberbau wird in Stahlbauweise aus dem Werkstoff S355 J2+N gefertigt – ein zäher, leistungsfähiger Werkstoff, der sich insbesondere für tragende Konstruktionen eignet. Die Fahrbahn selbst besteht aus einer direkt befahrbaren Stahlplatte mit reaktionsharzgebundenem Dünnbelag gemäß ZTV-ING – einer Kombination, die nicht nur robuste Befahrbarkeit garantiert, sondern auch wartungsfreundlich ist.
Auch im Bereich der Schweißtechnik lässt das Projekt keine Kompromisse zu: Verwendet werden geprüfte Verfahren nach EN 24063 – darunter 111 (E), 121 (UP), 135 (MAG-M) und 136 (MAG-FD). Alle Schweißnähte werden gemäß DIN EN ISO 1090-2 geprüft, ergänzt um Zusatzanforderungen der ZTV-ING. Die Blechdicken erreichen mindestens 15 mm (Z-Güte Z15), und die Kehlnahtdicken werden normgerecht nach EN 1993-1-8 dimensioniert.
Dimensionen mit Weitblick
Mit einer Einzelstützweite von 39,65 m in der Brückenachse, einer lichten Weite von 39,03 m zwischen den Widerlagern und einer Gesamtlänge von 40,25 m gehört die Zerbster Brücke zu den größeren Bauwerken ihrer Art im mitteldeutschen Raum. Die kleinste lichte Höhe im Durchfahrtsbereich beträgt 6,074 m – womit das für den Bahnbetrieb geforderte Lichtraumprofil von 5,70 m deutlich übererfüllt wird. Der Kreuzungswinkel beträgt exakt 100 gon und ermöglicht eine orthogonale und damit statisch günstige Lastverteilung.
Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen umfassen einen angehängten Gehweg samt Absturzsicherung, Geländer und Berührungsschutz. Da sich metallische Teile im Rissbereich der Oberleitung befinden (4 m um die Gleisachse), werden sämtliche Konstruktionselemente in diesem Bereich fachgerecht geerdet.
Bildergalerie: Die Zerbster Behelfsbrücke
Planung im Team:
IGG und IGS in Planungsgemeinschaft
Hinter dem Projekt steht eine enge Planungspartnerschaft zweier erfahrener Ingenieurbüros: Die IG Gnade verantwortet den Bereich Ingenieurbau, während die IGS INGENIEURE sich um die Verkehrsplanung kümmern. Gemeinsam bilden sie eine schlagkräftige Planungsgemeinschaft, die das komplexe Zusammenspiel aus Stahlbau, Bahnbetrieb und Straßeninfrastruktur koordiniert – von der Bauvorbereitung über Genehmigungsverfahren bis zur Ausführung.
Behelfsbrücken werden oft als Übergangslösungen betrachtet. Doch die Zerbster Brücke zeigt: Auch temporäre Bauwerke müssen heutigen Ansprüchen an Sicherheit, Materialqualität und technischer Ausführung genügen. In Roßlau entsteht keine Notlösung, sondern ein leistungsfähiger Brückenschlag – für den Straßenverkehr, den Bahnverkehr und die Zukunftsfähigkeit der Stadt Dessau-Roßlau. Fazit: Die Zerbster Behelfsbrücke ist ein Beispiel moderner Ingenieurbaukunst unter erschwerten Bedingungen – und ein Modell für die intelligente Überbrückung infrastruktureller Herausforderungen. Wir freuen uns auf die geplante Verkehrsfreigabe am 31. Juli 2025 und berichten an dieser Stelle über alle Neuigkeiten zur Zerbster Behelfsbrücke.
Städte sind gezwungen, sich mit ihrer baulichen Vergangenheit auseinanderzusetzen – und ihre Infrastruktur zukunftssicher zu machen. Als Ingenieurbüro bringen wir das Wissen, die Werkzeuge und die Erfahrung mit, um diesen Prozess mitzugestalten. Für sichere Brücken. Und für eine Infrastruktur, die auch morgen hält.
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